Das Gemeinwohl gibt die Richtung vor

Neues aus der Nachbarschaft 4: Das Dorfleben neu entdecken

Kleine digitale Veränderungen können das Dorfleben in ungeahnter Form bereichern! Das zeigte der beeindruckende Bericht der ehrenamtlichen Kümmerer*innen aus dem ostwestfälischen Ovenhausen, die gemeinsam mit Dorfentwicklerin Heidrun Wuttke über ihr digitales Dorfleben erzählten. Studienleiter Till Kiehne fasst einen Abend zusammen,  der Lust machte, Neues zu wagen.

Ovenhausen, Blick aus westlicher Richtung, Prozessionsweg. Foto: Witold Grzesiek, Wikimedia. CC BY-SA 3.0

 

„Für uns steht die sorgende Gemeinschaft im Fokus, nicht die Technik“ macht Heidrun Wuttke gleich zu Beginn ihres Vortrags deutlich. Das überraschte vielleicht die eine oder den anderen, denn Heidrun Wuttke ist Expertin für Zukunftsorte und Leiterin verschiedener Projekte , die sich im Kreis Höxter mit der digitalen Entwicklung von Dörfern befassen. Warum es sich dabei jedoch keines Wegs um einen Widerspruch handelt und die Technik dennoch nicht zu kurz kommt, wurde im weiteren Verlauf des Abends schnell klar.

Die Transformation nutzen
Wie können die Vorteile der Digitalisierung pragmatisch genutzt werden, um das bereits vorhandene Miteinander zu stärken? Welche Lösungen für den demografischen Wandel können erprobt werden? Wie können die Anliegen und Stärken der Dörfer eingebracht werden? Diese Fragen sollte der dritte Abend der Veranstaltungsreihe „Neues aus der Nachbarschaft – das Digitale zieht ein ins Quartier“ beantworten, der am 17. April 2021 online stattfand. Gemeinsam mit der Evangelischen Erwachsenenbildung im Kirchenkreis an Sieg und Rhein stellt die Evangelische Akademie in dieser Reihe die Frage, wie sich der soziale Nahraum durch die Digitalisierung verändert. Für den ländlichen Raum gilt dabei: Jedes Dorf ist anders und doch stehen viele Dörfer vor ähnlichen Herausforderungen.

Ein kleines Dorf als Vorreiter
Das wurde auch in den Schilderungen von Frau Wuttke und dem ehrenamtlichen Team aus Ovenhausen deutlich. Ovenhausen ist eines der Dörfer im Kreis Höxter, die seit 2016 zu den Projekten gehören, die von Frau Wuttke koordiniert werden. Das gemeinsame Ziel dieser Projekte ist es, die digitale Transformation als Chance zu begreifen und in Kommunen die die Herausforderungen des sozialen Wandels aktiv zu gestalten, um ländliche Regionen attraktiv zu halten. Das Beispiel Ovenhausen mit seinen gut 1000 Einwohner*innen beeindruckt dabei. Innerhalb von fünf Jahren hat sich viel getan: eine neue Dorfmitte wurde gestaltet, es hat Preise  bei Zukunftswettbewerben gewonnen, eine Dorf-App inklusive Dorf-Chat eingeführt und das Dorf wurde als integratives Dorf ausgezeichnet.  Wie konnte das alles gelingen?

Digitalisierung von unten nach oben
„Digitalisierung gehört in Bürgerhand!“ ist eine der zentralen Aussagen von Heidrun Wuttke. Dorfentwicklung als Prozess von unten nach oben zu denken – das  ist für sie der erste Schlüssel zum Erfolg. Denn wer könne den Bedarf vor Ort besser erkennen als die Bürger*innen selbst? Auch bei den beiden anderen der Erfolgsfaktoren – Engagement und Offenheit – spielen die die Bewohner*innen die Hauptrolle, denn es braucht eine Menge Engagement aus der Bürgerschaft, um ein solches Projekt zu stemmen. Ebenso wichtig ist eine generelle Offenheit des Dorfs gegenüber einer vernetzten Zukunft.

Begegnungsräume schaffen
Im Fall Ovenhausen war  all das gegeben. Das machten die drei Ehrenamtlichen anschaulich deutlich, die ihre Erfahrungen voller Begeisterung in die Veranstaltung einbringen. Martina Voss und Martina Werdehausen leiten die „Klönstube “ des Dorfes und gehören zu den Engagierten vor Ort. Bereits 2014 wurde das damals leerstehende Pfarrhaus zur „Klönstube“ umgewandeltt, ein Treffpunkt für alle: Dorfbewohner*innen, Zugezogene, Geflüchtete, Junge und Alte. Seit 2017 ist diese Begegnungsstätte nun Teil der „Neuen Dorfmitte“, die analoge Begegnung und digitale Vernetzung verbindet. Das zeigt Wirkung. Das kostenlose WLAN dort und die digitalen Lern- und Medienecken haben Menschen gelockt, die sonst wohl eher nicht gekommen wären, weiß Martina Voss zu berichten. Doch diese Menschen würden sich nun begegnen, kämen ins Gespräch miteinander und lernten sich kennen.

Bildnachweis:  Ovenhausen, Blick aus westlicher Richtung, Prozessionsweg. Foto: Witold Grzesiek . CC 3.0

Katholische Kirche St. Maria Salome Ovenhausen, Höxter (Deutschland), Wikimedia, gemeinfrei Bild-Lupe

Katholische Kirche St. Maria Salome Ovenhausen, Höxter (Deutschland), Wikimedia, gemeinfrei

Die Kirche im Dorf lassen
Die katholische Kirchengemeinde vor Ort hat daran großen Anteil, denn sie war es, die Pfarrhaus, -heim und –garten für das Dorf geöffnet hat. Für Hans-Werner Gorzolka, Kreisheimatpfleger und dritter Ehrenamtlicher im Team des Abends, ist diese Öffnung zukunftsweisend. „Wir müssen die Kirche im Dorf lassen“, betont er. Die Kirchengemeinde hat ihre Liegenschaften zum offenen Mittelpunkt des Dorfes gemacht, sich so den Menschen zuwendet. Dazu gehören für ihn der Grillplatz und das Hüttendorf im Pfarrgarten, die von Jugendlichen genutzt werden können, doch mit diesen analogen Plätzen hört es nicht auf: Für ihn gehören genauso selbstverständlich die Push-Nachrichten dazu, mit der die Kirchengemeinde in der Dorf-App über Gemeindeaktivitäten informieren.

Digitalisierung als Triebkraft
Die sorgende Gemeinschaft steht im Zentrum, das wird deutlich. Doch wie spielt die Digitalisierung hinein in dieses lebendige Dorf? Es sind einzelne Impulse, die durch die Dorfprojekte hineingetragen wurden und die nun eine Wirkung entfalten. Das WLAN im Dorftreff ist ein Beispiel, doch noch deutlicher wird es am „Dorf Funk“, der sich in Ovenhausen etabliert hat. Die App hat das Fraunhofer-Institut für Experimentelles Software Engineering  (IESE) programmiert, das auch die Pflege der App verantwortet. Die für die Bürger*innen kostenlose App wird zur digitalen Kommunikationszentrale der Region. Wer hat den entlaufenden Hund gesehen? Wann steht das nächste Spiel des Sportvereins an? Welchen neuen Impuls gibt es zu Ostern aus der Gemeinde? Neuigkeiten und zwanglose Plauderei prägen den Dorf-Chat, der sich nicht als Alternative zu gängigen Messenger-Diensten sieht, sondern als regionale Ergänzung.

„Fast jeder Haushalt liest oder schreibt in Dorf Funk“ berichten die Ehrenamtlichen. Natürliche treibe manche auch nur die Neugier, aber nichtsdestotrotz wachse die Dorfgemeinschaft enger zusammen. Es habe allerdings eine gewisse Zeit gebraucht, bis sich das Dorf an die Möglichkeit gewöhnt habe.

Digitale Souveränität gewinnen
Genau diese Gewöhnungsprozesse begleiten die Dorfprojekte. Denn neben den drei bereits genannten Gelingensfaktoren aus dem Dorf heraus, gibt es drei weitere, die Sicherheit und Souveränität in der Nutzung fördern. Dazu gehört das teils angeleitete Erproben neuer digitaler Werkzeuge genauso wie die Schulung der digitalen Kompetenz. Hier wird auf Multipliktator*innen wie Frau Voss und Frau Werdehausen gesetzt, die sich als Teil des Projektes an der Volkshochschule zu digitalen Dorfexpert*innen haben ausbilden lassen. Jetzt geben sie ihr Wissen weiter und stärken andere.

Sichtbarkeit als Vorreiter*innen
Der letzte Faktor, der für Frau Wuttke maßgeblich zum Erfolg der Projekte beiträgt, wird bei der Veranstaltung selbst deutlich. Öffentlichkeitarbeit, ist fester Teil der Idee.  Der Satz „Tue Gutes und rede darüber“ wird umgesetzt: über das Projekt, das ehrenamtliche Engagement und die gemeinsam erreichten Fortschritte wird in Medien oder auch bei Veranstaltungen, online wie offline, öffentlich gemacht. Dass Ehrenamtliche stolz davon berichten können, dass sie ein Teil einer innovativen Dorfzukunft sind, trägt die Motivation nicht nur in die Welt hinaus, sondern ist auch im Dorf selbst spürbar: Man ist stolz auf die Entwicklung des Dorfes und bereit den Prozess weiter zu gestalten. Was alles noch zu diesem Prozess gehört bildet die Website des Projektes ab. Denn zum sorgenden Dorf in Ovenhausen gehört deutlich mehr als hier benannt werden kann. Doch auch die an diesem Abend vorgestellten  Ausschnitte reichten, um bei den Teilnehmer:innen der Veranstaltung die Motivation zu verstärken, eigene Projekte konkret anzugehen Erste Gespräche werden bereits im Kirchenkreis An Sieg und Rhein geführt.

Einladung zum Vernetzungstreffen:
Wie geht es weiter im Quartier, im Dorf, in der Nachbarschaft?

Was können Sie sich für Ihren Ort vorstellen? Wo sehen Sie Chancen für Ihren Nahraum von der Digitalisierung zu profitieren?

Das Vernetzungstreffen am Ende der Reihe „Neues aus der Nachbarschaft“ bietet den Raum eigene Ideen vorzustellen und sich von den Ideen anderer inspirieren zu lassen. Kommen Sie doch dazu!

Vernetzungstreffen: Das Digitale ist da – wie geht es weiter im Quartier
Mittwoch, 21. April 2021, 19:00 – 21:00 Uhr

 

Bildnachweise im Text:
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/f/ff/Ovenhausen1.JPG
https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/1/19/Kirche_Ovenhausen_1.png