„Wenn von der Volksgemeinschaft gesprochen wird, sollten alle Alarmglocken angehen.“

Rechtsextremismus in ländlichen Gebieten

Um die Bewegung der völkischen Siedler ging es bei einem Vortrag der Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke, zu dem wir gemeinsam mit der Evangelischen Landjugendakademie eingeladen haben. Warum stellen sie eine Gefahr für die Demokratie dar? Welche Signale hat das Bundesinnenministerium mit seinem ersten Verbot einer Reichsbürger-Gruppierung gesetzt? Ein Beitrag von Till Kiehne

„Wir dachten, das sind Ökos, also Linke“ mit diesen Worten zitieren Andrea Röpke und Andreas Speit Nachbarn von sogenannten „völkischen Siedlern“. Doch es sind keine Linken. Seit Jahren siedeln sich junge Rechtsextreme bewusst in ländlichen Regionen an, um dort generationsübergreifend „nationale Graswurzelarbeit“ zu betreiben, die sich gegen die moderne und liberale Gesellschaft richtet. Sie bringen sich in örtlichen Vereinen ein und gehen in die lokale Politik, um Umweltschutz mit „Volksschutz“ zu verbinden und eine angebliche „Überfremdung“ zu verhindern.

Anfang März 2020 war die freie Journalistin und Rechtsextremismus-Expertin Andrea Röpke auf Einladung der Evangelischen Akademie im Rheinland und der Evangelischen Landjugendakademie für einen Vortrag über das Agieren von rechtsextremen Siedlern nach Altenkirchen gekommen – in den ländlichen Raum. Andrea Röpkes Vortrag stieß dort auf großes Interesse. Fast 90 Menschen hatten sich im Hörsaal der Evangelischen Landjugendakademie versammelt, um ihrem Bericht zu lauschen. Andrea Röpke stellte eindrücklich die Strukturen und Netzwerke der rechtsextremen völkischen Siedler dar. Sie zeigte dabei nicht nur die Versuche der Rechtsextremen auf, Brauchtum und Nachhaltigkeit mit rassistischer Ideologie zu verknüpfen, sondern benannte auch Akteur*innen und regionale Phänomene.

Am vergangenen Mittwoch, den 18. März, hätten in Moers noch einmal Menschen die Chance haben sollen, diesen Vortrag zu erleben. Denn gemeinsam mit u.a. dem Neuen Evangelischen Forum des Kirchenkreises Moers hatte die Akademie erneut zum Vortrag und zur Diskussion eingeladen. Aufgrund der Corona-Pandemie ist diese Veranstaltung ausgefallen. Doch gemeinsam mit zeitgleichen neuen politischen Entscheidungen in Bezug auf rechtsextreme Bewegungen ist dies ein guter Grund, den Vortrag in Altenkirchen noch einmal zusammenzufassen und die aktuellen Entwicklungen einzuordnen.

Völkische Siedler als Teil rechtsextremer Netzwerke
In aufwendigen investigativen Recherchen sind die Informationen zusammengetragen worden, die Andrea Röpke in ihrem Vortrag präsentiert. Bei den völkischen Siedlern handelt es sich um eine heterogene Bewegung, die nicht gerne beobachtet wird. Aus diesem Grund umriss Andrea Röpke zunächst die Frage, wer sich hinter diesem Begriff der „völkischen Siedler“ verbirgt. Schnell wurde klar, dass es sich dabei vor allem um Mitglieder von Familien handelt, die fest in rechtsextremen Strukturen verwurzelt sind. Während die Jüngeren sich auch bei der „Identitären Bewegung“ wiederfänden, seien manche der Älteren bereits in verschiedenen rechten Kameradschaften in Erscheinung getreten.

Geprägt seien diese Familien durch eine Ideologie, die auf dem antisemitisch-rassistischen Denken der völkischen Bewegung Anfang des 20. Jahrhunderts beruhe. Diese spiegle sich auch in Bezug auf die innerfamiliären Erziehungsmethoden wieder. Für Schwäche oder Fehler sei kein Platz, es gehe um Kampf und Überwindung. Drill, autoritäre Methoden und alte Geschlechterbilder bestimmten den Alltag sowie die Zusammenkünfte der Mitglieder. Rassismus und Antisemitismus hätten in dieser Erziehung einen festen Platz, wie Röpke mit verschiedenen Beispielen deutlich belegte.

Eine unterschätzte Gefahr?
Neben der Gefährdung der psychischen und physischen Gesundheit der (jungen) Menschen, die in diesen Kontexten aufwachsen, geht mit den völkischen Siedlern auch eine Gefahr für die Demokratie einher. Denn mit ihren Siedlungen, die sie insbesondere in strukturschwachen ländlichen Regionen errichten, versuchen sie in der Region an Einfluss zu gewinnen. Eindrücklich zeigte Röpke die Versuche auf, Brauchtum, Landwirtschaft und Naturschutz mit rechtsextremen Ideologien zu verbinden. Die Sieder würden versuchen, sich in lokale Strukturen einzubringen, Feste zu organisieren, auf das Dorf zuzugehen und so das Vertrauen der Menschen zu gewinnen sowie Schlüsselpositionen zu besetzen. Ein Beitrag des rbb dokumentiert diese Versuche der Einflussnahme anschaulich. Unter dem Deckmantel der Brauchtumspflege und des ökologischen Bewusstseins wird das Ziel verfolgt rechtsextreme Ideologie in die Mitte der Gesellschaft zu tragen.

Es sei Wachsamkeit geboten, betonte Andrea Röpke, die klarstelle, dass die Pflege von Brauchtum selbst nichts Schlechtes sei. Doch spätestens wenn von Volksgemeinschaften – einem Begriff vor allem aus dem Nationalsozialismus – gesprochen würde, dann sollten alle Alarmglocken angehen. Denn Ziel dieser Gruppen sei die Zersetzung der liberalen, offenen Gesellschaft.

Damit teilen diese Gruppen Ziele mit der sogenannten „Reichsbürgerbewegung“, auch wenn diese Bewegungen keinesfalls deckungsgleich sind.

Erstmaliges Verbot einer Gruppierung der „Reichsbürger“
Doch am 19. März 2020 ist zum ersten Mal in Deutschland eine Gruppierung der sogenannten „Reichsbürger“ verboten worden. Auch die Reichsbürgerbewegung stellt eine ideologisch und organisatorisch heterogene Szene dar. Die (Klein-)Gruppen und Einzelpersonen dieser Bewegung haben gemeinsam, dass sie die Bundesrepublik Deutschland als legitimen und souveränen Staat anzweifeln, bestreiten und ablehnen. Damit verneinen sie nicht nur die geltende Rechtsordnung, sondern auch die demokratische Grundordnung. Häufig sind diese Überzeugungen gepaart mit rechtsextremen Ideologien, mit Rassismus, Antisemitismus und Geschichtsrevisionismus, der bis hin zur Leugnung des Holocausts reicht.

Warum ist dies auch in Bezug auf völkische Siedler bedeutsam?
Relevant ist dies im Zusammenhang mit den völkischen Siedlern, da beide Bewegungen feste Teile der rechtsextremen Szene sind. Der Staat setzt hier ein Zeichen, dass auch in Zeiten der Krise gegen demokratiefeindliche Bewegungen vorgegangen wird.

NRW Landesinnenminister Reul betonte, dass sich Rechtsextreme auch in Krisenzeiten nicht in Sicherheit wiegen dürften. Besonders wichtig ist dies, da rechtsextreme Gruppen in ihren Strategien immer wieder Krisen als mögliche Handlungszeiten benennen. Martina Renner von der Linken führte in einem Interview mit der Tagesschau aus, dass von rechts betont worden sei, dass ein Katastrophenfall, eine Ausnahmesituation ein Startschuss für eine rechte Erhebung sein könne.

Vor diesem Hintergrund ist das Verbot der Gruppierung der Reichsbürger ein schon lange notwendiges Zeichen. Es ist gut, dass der Staat jetzt handelt. Dennoch braucht es aktuell sowie in Zukunft weitere und deutlichere Zeichen gegen die rechtsextreme Szene. Denn bisher passiert hier zu wenig. Ein Zustand, den auch Andrea Röpke zum Ende ihres Vortrages kritisierte, und der Teile der rechtsextremen Szene in Sicherheit wiegt.